Afghanistan-Veteran berichtet am Gymnasium über Bundeswehr-Einsätze und die Folgen
Er hat seine Kinder nie gewickelt, kann nicht mit seiner Frau kuscheln, erträgt körperliche Nähe einfach nicht. „Ich muss mich dann übergeben.“ Der das sagt, heißt Robert Sedlatzek-Müller, ist ein Afghanistan-Veteran und steht in Uslar vor 50 Gymnasiasten des Jahrgangs 12 aus dem Fach Politik.
Es geht ums Thema Bundeswehr-Einsätze im Ausland. Sedlatzek-Müller ist zum zweiten Mal am Gymnasium zu Gast, um darüber zu berichten. Sogar ehemalige Schüler sind extra gekommen, um zu hören, dass sich die Bundeswehr mittlerweile in 16 ausländischen Einsatzgebieten befindet und allein in Afghanistan 55 deutsche Soldaten ihr Leben verloren haben. Und sie hören, welche Auswirkungen das für mittlerweile 1650 Soldaten hat.
Die Rede ist von posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). Sedlatzek-Müllers Problem, körperliche Nähe nicht ertragen zu können, ist nur ein Teil der Krankheit. Er hat Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, leidet unter starkem Tinnitus und hat künstliche Trommelfelle.
Explosion einer Rakete
Nach dem folgenschweren Einsatz, als beim Entschärfen eine Flugabwehrrakete in seiner Nähe explodierte und ihm schwere Splitter- und Brandverletzungen zufügte, seien diese Wunden zwar gut verheilt. Doch seither lebt er mit PTBS. Anfangs trank er Alkohol, weil er nicht einschlafen konnte. Er wurde aggressiv, zu einer Horrorperson, wie er sich ausdrückt. Wenn er zum Beispiel zu McDonnalds geht, scannt er ständig die Besucher und die Eingangstür, ist stets in Alarmstimmung wie ein Soldat im Einsatz. Filme über den Krieg kann er nicht sehen, weil er sich übergeben müsste. Hautausschlag und Essstörungen sind weitere Folgen. Und in seinem Umfeld haben sich schon fünf Kameraden das Leben genommen. Die große Gefahr heißt sozialer Abstieg und Kriminalität, extrem in den USA zu beobachten.
Sedlatzek-Müller hat den Kampf aufgenommen – gegen die Krankheit und für ihre Anerkennung. Er hat ein Buch geschrieben, den Bund Deutscher Veteranen gegründet und sich mit dafür eingesetzt, dass 2012 das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz kam, um die Situation für betroffene Soldaten zu verbessern. Seine Botschaft ist neben den vielen Zahlen über Auslandseinsätze, Kosten und Folgen vor allem auch: „Ich will erzählen, warum ich so scheiße war.“ Robert Sedlatzek-Müller ist heute Berufssoldat an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg. Er ist beschäftigt als so genannter Lotse und leitet das Betreuungsbüro. Und reist durch Deutschland, um PTBS zu erklären. Wer könnte das besser als er. (fsd, 28.02.2015)